BUND Sachsen-Anhalt

BUND geht neue Wege zur Rettung des Kiebitzes

22. Juni 2020 | BUND, Grünes Band, Flüsse & Gewässer, Lebensräume, Naturschutz

Foto: Ute Machel

Bis vor einigen Jahrzehnten belebten viele Kiebitze die Niederungsgebiete der Altmark. In Gesprächen des BUND-Ornithologen Olaf Olejnik mit älteren Dorfbewohnern verfestigte sich der Eindruck, dass es sich dabei um große Mengen an Vögeln gehandelt haben muss. Gleichwohl vermitteln diese Erzählungen den Anschein, solch „paradiesische“ Verhältnisse für den Vogel hätten seit „ewigen“ Zeiten hier vorgelegen. Da klingt Wehmut in der Stimme der betagten Gesprächspartner mit, wenn sie auf die heutigen Kiebitz- Bestände schauen. Denn der immer noch sehr volkstümliche Kiebitz steht in unserer Region inzwischen vor seinem Aussterben.

Dabei war der Kiebitz in den letzten 250 Jahren einer der erfolgreichsten Kulturfolger der sich wandelnden Agrarlandschaft. Er konnte, im Gegensatz zu anderen Vogelarten, von den radikalen Umwälzungen unserer Landschaft lange Zeit profitieren. Der Klein Gartzer Prediger Lüdeke nannte den Kiebitz 1774 einen Gewässerbewohner und rechnete ihn nicht zu den Vögeln des „freyen Feldes“. Zu dieser Zeit war das Gesicht der Altmark noch nicht mit den heutigen Verhältnissen vergleichbar. Die Chronisten beschrieben unsere Niederungen als morastige, mit Schilf und vor allem Erlen bestandene, so gut wie unnutzbare Landstriche. Hier konnte der Kiebitz als ursprünglicher Bewohner des übersichtlichen Marschlandes kein Auskommen finden. Die Landschaft abseits der Niederungen war hingegen oft gehölzfreies, typisches Heideland- für den Vogel aber einfach zu trocken. Besonders mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, und späterhin in ansteigender Intensität, wurden die Sumpfwälder und Schilfmoraste gerodet und trockengelegt. In diesen Bereichen entstanden nun Wiesen und Weiden. Dieses Grünland war noch ausreichend feucht und baumfrei, ebenso wie es der Kiebitz gernhat. Über das 19. und frühe 20. Jahrhundert fand aufgrund dieser großen, neuentstandenen feuchten Offenlebensräumen eine Massenvermehrung des Kiebitzes statt. Auch der Brachvogel, der ähnliche Anforderungen an seinen Lebensraum stellt, wanderte in unserer Region ein. Zur Wende ins 20. Jahrhundert gab es bei uns derart viele Kiebitze, dass das Einsammeln seiner Eier zu Verkaufszwecken eine lukrative Einnahmequelle wurde. Da neben der ständigen Wegnahme seiner Gelege auch die Entwässerung und Nutzung des Grünlandes immer weiter vorangetrieben wurde, kollabierte der Bestand des Vogels gebietsweise in den nächsten Jahrzehnten.
Der Vogelkundler Walther Borchert fand um 1925 in den Niederungen der Altmark „nur wenige Paare, während früher hunderte dort wohnten“. Das Eiersammeln wurde verboten und der Kiebitz stellte von da an auch seine Ansprüche um: er begann auf weitgehend trocknen Ackerflächen (in der Regel Sommerungen) zu brüten. Diese „Neuorientierung“ führte wiederum zu einem starken Bestandswachstum, das in den 1970/80er Jahren seinen Gipfelpunkt fand.
Seit dieser Zeit jedoch gehen die Kopfzahlen, von Ausnahmen abgesehen, nur noch zurück. Nasse Wiesen existieren gegenwärtig vielleicht für wenige Wochen, doch nicht lang genug, Wintergetreide und Raps fallen als Brutplätze meistens aus und die „letzte Bastion“ des Kiebitzes, der Maisacker, hat zwar einen langsamen Kulturaufwuchs, wie der Vogel es mag, ist aber derart nahrungsarm, dass für eine erfolgreiche Jungenaufzucht wenigstens Grünland in unmittelbarer Umgebung angrenzen sollte. Auch wenn seine Gelege nicht zerfahren oder umgepflügt werden, wie es bei der Maisbestellung regelmäßig geschieht- es gibt noch weitere, ernste Probleme, die vor 100 oder 50 Jahren so nicht vorhanden waren.
Denn die Anzahl der sogenannten Beutegreifer in unserer Landschaft ist stark gewachsen. Beispielsweise hat sich die Fuchsstrecke in Deutschland in den letzten 110 Jahren fast versiebenfacht. Ehedem stellte man dem Rotrock wegen seines Felles (auch noch in der DDR) scharf nach, wohingegen das Tier heutzutage mancherorts eher jagdlich bedeutungslos ist und somit weniger verfolgt wird. Der Waschbär war noch vor 20 Jahren nichts weiter als ein possierlicher Neubürger. Diese Liste ließe sich weiterführen und es muss festgestellt werden, dass dort wo Kiebitze nach der Bestellung noch Gelege tätigen, diese überwiegend ausgeraubt werden. Nur die wenigsten überlebenden Jungen schaffen es bis zum ersten Flug.

Aus diesem Grunde haben Vogelschützer, insbesondere in Niedersachsen, eine radikale Maßnahme erdacht und umgesetzt, um zumindest dort, wo die Kiebitze auch zum Brüten ansetzten, die Einwirkung von Raubsäugern zu minimieren: sie errichten einen Elektroschutzzaun um die Gelegestandorte der Vögel.
Dass derartige, aufwendige Aktionen offenbar notwendig sind, zeigt den Ernst der Lage deutlich auf. Im Rahmen des von 2019- 2021 laufenden Wiesenvogelschutzprojektes des BUND Sachsen- Anhalt e.V. (Koordinierungsstelle Grünes Band in Salzwedel), finanziert aus Mitteln des Entwicklungsprogrammes für den ländlichen Raum des Landes Sachsen- Anhalt (EPLR) wurden in diesem Jahr erstmals Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen, um die Praktikabilität solcher Maßnahmen in unserer Region zu erproben.
Im Grünlandgebiet bei Salzwedel wurde Mitte April ein ca. 1000lfm langer Elektrozaun um eine noch nasse Wiesenstelle, an der sich drei Kiebitzpaare brutverdächtig aufhielten, aufgebaut. Die Anlage wird täglich kontrolliert. Sollten sich hierbei positive Ergebnisse einstellen, ist eine Wiederholung der Aktion im nächsten Jahr, evtl. nach Lage der Umstände auch an einer anderen Örtlichkeit fest eingeplant. Hierbei geht es natürlich darum, die letzten bodenständigen Vögel durch Erhöhung des Bruterfolges in eine andere Zeit hinüberzuretten. Elektrozäune können nur ein letztes Mittel in der gegenwärtigen Situation darstellen, sie dürfen aber nicht die Zukunft im Wiesenvogelschutz sein. Ziel des Vogelschutzes sollten Verhältnisse sein, die es erlauben, sich gar nicht mehr intensiv um die Tiere kümmern zu müssen- weil es ihnen gut geht.

Hierzu gibt es bereits etliche positive Beispiele. Wie die Frage in einem alten Kinderreim aus der Altmark „Kiewitt wo bliew ick?“ letztlich zu beantworten sein wird, ist augenblicklich nicht zu entscheiden. Dass der Kiebitz aber unseren Landstrich in den vergangenen Jahrhunderten zweimal „erobern“ konnte, stimmt ein wenig optimistisch. Eine andere, neue Zeit, mit anderen Umständen könnte es dem bunten Vogel vielleicht wieder ermöglichen. Denn schließlich ist der Kiebitz ein erfolgreicher Kulturfolger gewesen.

Für weitere Rückfragen:

Ute Machel – ute.machel(at)bund-sachsen-anhalt.de 

Olaf Olejnik – 0151 156726506

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