Nasse Wiesen locken Zugvögel in die Altmark

23. Juli 2024 | Grünes Band, Lebensräume, Naturschutz

Die ungewöhnlich hohen Niederschläge in den letzten Monaten ließen zwischen Hestedt und Mechau zahlreiche Überflutungsflächen auf Wiesen, Äckern und in Waldgebieten entstehen. Der hohe Wasserstand wirkte sich positiv auf die Vogelwelt in der Region aus. Nicht nur Kiebitze, Bekassine und Wiesenpieper erlebten einen wahren Aufschwung im altmärkischen Teil der Landgraben-Dumme-Niederung, auch einige Zugvögel siedelten sich in den neu entstandenen Sümpfen, Riedern und Märschen an.

Wachtelkönig

Während die Flächen im Einzugsgebiet der Dumme relativ rasch wieder abtrockneten, kam es von den Gemarkungen Cheine bis Salzwedel zu Vernässungen, die ein dreiviertel Jahr lang andauerten. Insbesondere im Bereich des Cheiner Moores, an den Brietzer Teichen, in den Wolfsbergmärschen nördlich Salzwedel und im Kusebruch blieb das Wasser über mehrere Monate stehen, da dort Anstaumaßnahmen ergriffen wurden, um den Wassermangel aus den letzten fünf  Dürrejahren zu kompensieren. Insgesamt erreichten die überfluteten Flächen eine Größenordnung wie es wahrscheinlich seit den 1960er Jahren nicht mehr vorgekommen ist.

„Dass sich die Überschwemmungen so positiv auf die Ansiedelung von Brutvögeln auswirken würden, haben wir kaum für möglich gehalten. Überraschend ist vor allem, dass sich dieses Jahr Zugvögel, die sonst hier nur durchziehen, erfolgreich angesiedelt haben. Für sie waren die Brutbedingungen dieses Jahr deutlich besser als sonst“, erläutert Olaf Olejnik vom BUND.

So zum Beispiel der Wachtelkönig – eine mit dem Blesshuhn verwandte Rallenart. Eigentlich ist er an  den Überflutungsgebieten an Weser, Elbe und Oder anzutreffen und erscheint im Raum Salzwedel  nur selten. Aber dieses Jahr war er an der Dumme bei Klein Grabenstedt, in den Wolfbergmärschen und hinter den Stapelteichen bei Hoyersburg regelmäßig zu hören. Der Vogel lebt auf weitläufigen feuchten Wiesen, wo er sich in einem tunnelartigen Gangsystem im lockeren Gras fortbewegt. Der Vogel verrät sich durch seinen hölzern klingenden Ruf, der wie „errrp-errrp“ klingt und eigentlich fast an eine Heuschrecke erinnert. Da er nur ungerne auffliegt und sich aufgrund seiner Lebensweise kaum sehen lässt, bietet diese Lautäußerung den einzigen Anhaltspunkt für seine Anwesenheit. Wenn sich ein Paar gefunden hat, sehen sich die Vögel auch nicht mehr genötigt zu rufen. Von da an scheinen sie verschwunden, sodass ein Brutnachweis nur unter sehr glücklichen Umständen zu erbringen ist. Vögel, die wie der Wachtelkönig nur schwer zu sichten sind, nennen Ornithologen Heimlichtuer.

Ein Verwandter des Wachtelkönigs - das etwas kleinere Tüpfelsumpfhuhn – ist ein noch größerer Heimlichtuer und lässt sich nur in der Nacht durch peitschend klingende „huid-huid“-Rufe wahrnehmen. Aber es ist so selten, dass man es vielleicht alle fünf Jahre im Raum Salzwedel nachweisen kann. Auch das Tüpfelsumpfhuhn mag Überschwemmungsflächen und lässt sich etwas häufiger in den großen Flussauen Norddeutschlands hören. Es möchte aber im Gegensatz zum Wachtelkönig mit den Füßen beständig durch ca. fünf Zentimeter hohes Wasser laufen. Sein Lieblingshabitat sind somit Verlandungszonen mit breiten Schilfsäumen. Genau in einem solchen Habitat, dem Rohrbestand am Kranichschlafplatz im Cheiner Moor, wurde ein Pärchen in einer Juni-Nacht in diesem Jahr zusammen mit Blaukehlchen und Rohrschwirl gehört.

Auch die unscheinbare Schnatterente und die kleine Knäkente leben eigentlich in den Überflutungsgebieten größerer Flüsse in Norddeutschland, haben sich aber aufgrund der Vernässung dieses Jahr auch im Salzwedeler Niederungsgebiet fortgepflanzt. An den Brietzer Teichen glückte dieses Jahr ein Brutnachweis für die Knäkente, die sich gerne gut versteckt. Dass die Schnatterente bereits früher in feuchten Jahren wie 2016 im Raum Salzwedel brütete, wurde vermutet. In 2024 konnte endlich ein jungeführendes Weibchen in einem Graben in den Wolfsbergmärschen beobachtet werden. Die Hoffnung, einen Brutnachweis für die breitschnäbelige Löffelente zu erbringen, erfüllte sich noch nicht.  Allerdings nutzten gut ein halbes Dutzend Paare dieses seltenen Wasservogels die Niederung als Sommerquartier.

Aber nicht nur Wasservögel und Rallen profitierten dieses Jahr von den ungewöhnlich nassen Verhältnissen im Raum Salzwedel. Auch eine Singvogelart - der Schilfrohrsänger - konnte sich in den neu entstandenen Habitaten ausbreiten. Gewöhnlich wird dieser Vogel bei uns nur in den Stauflächen der Brietzer Teiche als Brutvogel angetroffen und erscheint lediglich auf seinem Durchzug an kleinen Gräben im hiesigen Grünland. In diesem Jahr allerdings war der Vogel an mindesten 13 Stellen bei Cheine, den Wolfsbergmärschen bis hin zu den Wiesen bei Klein Chüden zu finden. An schärrenden Elementen in seinem Lied ist der Vogel leicht zu erkennen. Er gibt seinen Gesang auch sehr gern bei kurzen Flügen über seinem Revier zum Besten. Der Vogel baut sein Nest nach Rohrsängerart in Schilfstängeln, also relativ hoch. Aus diesem Grunde hat er im Gegensatz zu bodenbrütenden Vogelarten wie Lerchen und Ammern in periodisch überschwemmten Flächen Vorteile: Sein Gelege und die Jungen können nicht vom Wasser in Mitleidenschaft gezogen werden.

Der diesjährige Vogelreichtum gibt uns eine Vorstellung von der Vogelfauna unserer Wiesenlandschaft wie sie vor über 100 Jahren existiert haben mag – also bevor großflächig Entwässerungsgräben gezogen wurden. Zu jener Zeit, als die Flächen aufgrund ihrer Feuchte Namen wie Ried, Wische oder Marsch von den Altvorderen bekamen, und die wir heute noch auf den Landkarten finden können.

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